Das Thema Power-to-Gas bewegt weiterhin die Gemüter, nachdem sich zuletzt die Ereignisse zwischen kurzfristigen Gesetzesänderungen und Vorstößen auf Netzbetreiberseite etwas überschlagen hatten (wir berichteten). Nachdem die unmittelbar vor Verabschiedung in das sogenannte Netzausbaugesetz („NABEG“) aufgenommene Neuregelung zur Netzentgeltbelastung von Elektrolyseuren sowohl in Branchenkreisen als auch in einigen Bundesländern einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte, ist die Bundesregierung tatsächlich zurückgerudert. So wurde im Bundesrat angekündigt, die jüngsten Regelungsänderungen so schnell wie möglich wieder zurückzunehmen und sich stattdessen noch einmal gemeinsam mit Stakeholdern aus der Praxis Gedanken zu machen, wie der Rechtsrahmen für Power-to-X sinnvoll ausgestaltet werden könnte. Bleibt zu hoffen, dass während dieses – natürlich grundsätzlich begrüßenswerten – Austausch-Prozesses zwischen Politik und Praxis nicht bereits andere aktuelle Entwicklungen „Pflöcke einrammen“, die in eine ganz andere Richtung weisen – weg von einem wettbewerblichen Speichergas-Markt und zurück zu einem zentralistischeren Ansatz der Energiewende. Im folgenden Beitrag fassen wir die aktuellen Entwicklungen noch einmal für Sie zusammen.
Rolle rückwärts beim NABEG: Was war passiert?
Ausgangspunkt des insgesamt wohl beispiellosen Vorgangs rund um die durch den Wirtschaftsausschuss eingefügten Regelungsänderung zu den Netzentgelten für Elektrolyseure war eine Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Recht und Regulierung im Bundesverband Energiespeicher (BVES). Bei der Analyse der bis dahin gänzlich unter dem Radar der Öffentlichkeit sowie der Verbände gebliebenen Neuregelung in § 118 Absatz 6 EnWG wurde schnell die Tragweite der Änderung klar. Mehrere Unternehmensvertreter verließen daraufhin bereits die Sitzung, um in ihren Unternehmen „Alarm zu schlagen“.
In unserer News vom 8. April 2019, siehe hier, haben wir anschließend die Regelung im Zusammenhang mit den weiteren neuen Bestimmungen zu P2X und anderen aktuellen Entwicklungen vorgestellt und ihre Bedeutung deutlich gemacht. Mehrere Fachmedien berichteten über den Vorgang und verschiedene Branchenunternehmen wiesen die befassten Politiker in den Ländern und im Bundestag auf das Thema hin. Sehr zu ihrem Unmut wurde einigen Abgeordneten nunmehr klar, welche Regelung sie da soeben verabschiedet hatten: Eine Regelung, die de facto dazu führen würde, dass – entgegen der bisherigen Praxis und überwiegenden Rechtsauffassung – nahezu jedes aktuell umgesetzte sowie geplante Power-to-Gas-Projekt mit Netzanschluss bezugsseitig voll mit Netzentgelten belastet sein sollte. Eine Ausnahme wäre dann nur noch bei einer Rückverstromung des erzeugten Speichergases – bzw. je nach Verständnis der überdies auch noch unklaren Neuregelung sogar nur bei einer zusätzlichen Rückeinspeisung dieses Stroms ins Netz – möglich gewesen.
Eine solche unmissverständliche Netzentgeltpflicht für Strom, der zur Wasserstofferzeugung genutzt wird, wollten auch etliche Vertreter der Regierungsfraktionen nicht. Dabei war zudem sicherlich wenig hilfreich, dass die Regelung bereits zuvor versteckt zwischen Übergangsbestimmungen im EnWG und alles andere als eindeutig formuliert war. Anscheinend war nur sehr wenigen an dem Gesamtvorgang Beteiligten wirklich klar, wie die bisherige Regelung lautete, wie sie in der Praxis ausgelegt wurde und was genau sich durch die Neuformulierung hieran ändern würde. Im Ergebnis entstand jedenfalls ein solcher Druck auf die Bundesregierung, dass sie schließlich zurückrudern musste, um die Wogen erst einmal zu glätten und die kurzfristig von Schleswig-Holstein beantragte Anrufung des Vermittlungsausschusses im Bundesrat zu verhindern.
Die Protokollerklärung der Bundesregierung im Wortlaut (abrufbar als Anlage 6 zum Plenarprotokoll des Bundesrates hier):
„Das Land Schleswig-Holstein hat die Regelung in Artikel1 Nummer 34 Buchstabe b des „Gesetzes zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus“(§ 118Absatz 6 Satz 7 EnWG) kritisiert. Diese Regelung betrifft die Netzentgeltbefreiung bei der Nutzung von Strom für die Wasserstoffelektrolyse. Synthetischer Wasserstoff kann in bestimmten Bereichen eine bedeutende Rolle im Rahmen der Energiewende einnehmen. Es besteht die Besorgnis, dass die genannte Regelung ein Hemmnis für die Nutzung von synthetischem Wasserstoff darstellen kann. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung bei der nächsten möglichen Gelegenheit einen Entwurf vorlegen, mit dem die entsprechende Regelung aus der NABEG-Novelle zunächst wieder zurückgenommen wird, um nach Beratung mit den Stakeholdern einen Vorschlag zu unterbreiten, wie die Rahmenbedingungen für den Einsatz von „Power to X“ insgesamt gestaltet werden können.“
Schleswig-Holstein nahm daraufhin seinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zurück und der Bundesrat ließ die NABEG-Novelle passieren.
Nach der Reform ist vor der Reform: Wie geht es jetzt weiter?
Auch wenn diese jüngsten Entwicklungen natürlich durchaus erfreulich sind, lässt sich festhalten: Mit der Protokollerklärung im Bundesrat findet das Thema keineswegs seinen Abschluss. Diese kann vielmehr erst den Auftakt bieten für die nächsten Schritte:
- So ist zunächst darauf zu achten, dass die umformulierte Regelung nun auch wirklich wie angekündigt so schnell wie möglich zurückgenommen wird und die Rücknahme auch (rückwirkend) zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der NABEG-Novelle vorgesehen wird. Andernfalls entsteht nun ein Übergangszeitraum, in dem Netzbetreiber bei Elektrolyseuren, die an das Stromnetz angeschlossen sind, verpflichtet wären, Netzentgelte zu berechnen.
- Ersetzt werden sollte die abzuschaffende Neuregelung dann ebenfalls kurzfristig durch eine eindeutige und klare Aussage dazu, wie der Gesetzgeber die Netzentgeltpflicht für Elektrolyseure denn nun geregelt haben möchte. Hierbei wäre eine Klarstellung im Sinne der bisherigen überwiegenden Auslegung und praktischen Anwendung wünschenswert, nach der Netzstrom zur Herstellung von Speichergasen, also einem ebenfalls energetischen Endprodukt, per se nicht mit den Netzentgelten belastet sein soll.
- Parallel sollte die überfällige vollständige Analyse und anschließende Neufassung des komplexen und mit zahlreichen Unsicherheiten behafteten Rechtsrahmens für die Sektorenkopplung in Angriff genommen werden. Es ist insoweit zu hoffen, dass die Bundesregierung der Ankündigung Taten folgen lässt, nun in einen intensiven Austausch mit den Stakeholdern zu treten, um diesen Rechtsrahmen zu entwickeln.
Bislang steht bei der derzeitigen Regierung allerdings eher die Sorge im Vordergrund, dass es durch eine Entlastung von Power-to-X-Technologien zu einer Unwucht im Gesamtsystem zu Lasten der Stromverbraucher kommen könnte. Natürlich sind solche Befürchtungen nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Die Herausforderung, einen ausgewogenen Rechtsrahmen für ein zu dekarbonisierendes Gesamtenergiesystem zu schaffen, ist immens. Andererseits ist die Sektorenkopplung – wie ja auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung mehrfach festgehalten – nun einmal ein extrem wichtiger Baustein für eine ernst gemeinte Energiewende, zumal die Zeit für echte klimapolitische Fortschritte bekanntlich drängt. Gemessen daran steht die Branche zwar in den Startlöchern, aber auch eben leider noch in den Kinderschuhen. Daher wären hier beherzte politische Schritte derzeit dringend nötig: hin zu mehr Rechtsklarheit, hin zu mehr Investitionssicherheit und hin zu mehr intelligenten und nachhaltigen Lösungen für ein ausschließlich regeneratives Energiegesamtsystem der Zukunft.
Ein Wort zum Schluss: Warum wir diesen Vorgang so wichtig finden
Der Vorgang rund ums NABEG und die Neuregelung zu den Netzentgelten für Elektrolyseure ist gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert und möglicherweise auch wegweisend für die Zukunft:
- Die „Rolle rückwärts“ belegt zunächst, dass das Interesse an der Sektorenkopplung im Allgemeinen und Power-to-Gas im Besonderen inzwischen so groß ist, das gesetzliche Veränderungen in diesem Bereich eine derart heftige Reaktion und auch ein Umdenken in Regierungskreisen hervorrufen können.
- Die Rückgängigmachung der Änderung von § 118 Absatz 6 Satz 7 EnWG ist zugleich ein großer Erfolg für die Energiespeicherbranche und die beteiligten Verbände, allen voran des BVES. Die Mobilisierungswirkung war so groß, dass sich umgehend weitere Unternehmen und Verbände anschlossen. Gemeinsam mit dem großen branchenöffentlichen Interesse und der Aufmerksamkeit einiger wichtiger (vornehmlich landes-)politischer Vertreter wurde so eine Schlagkraft entfaltet, die zu diesem Ergebnis führen konnte. Die Branche wird sich den Vorgang und die Wirkung einer solchen branchenweiten, medialen und politischen „Allianz“ in Erinnerung rufen können, wenn die nächsten Änderungen der energierechtlichen Rahmenbedingungen für Speicher anstehen
- Und schließlich zeigt der Vorgang in erschreckender Deutlichkeit auf, welche Auswirkungen es haben kann, wenn gesetzliche Reglungen eine Komplexität aufweisen, die so groß ist, dass die Regelung und ihre praktischen Auswirkungen nur noch nach mehrfacher Lektüre durch hoch spezialisierte Fachjuristen überhaupt verstanden werden können. Einmal mehr wurde offenbar, wie schwierig das Ringen um die passenden regulatorischen Rahmenbedingungen der Energiewende derzeit für alle beteiligten Akteure ist. Die Zukunft unseres Energiesystems ist mit den „alten“ regulatorischen Rahmenbedingungen nicht in Einklang zu bringen. Anders gesagt: Die neuen Technologien und Systeme passen nicht in den alten Rechtsrahmen. Die Branche wartet weiter auf einen „großen Wurf“ seitens der Politik, der wirklich die regulatorischen Weichen hin zu einem zukunftsfähigen Gesamtenergiesystem stellt.
Derzeit sind allerdings weitere Entwicklungen zu beobachten, die das Geschehen in der Zwischenzeit sicherlich nicht langweiliger werden lassen. So berichteten wir zuletzt ebenfalls über erste Schritte der Übertragungsnetzbetreiber, den Betrieb von Power-to-Gas-Anlagen selbst in die Hand zu nehmen. Zwar hat die Bundesnetzagentur sich nach Branchenmeldungen bereits eher skeptisch zu solchen Bestrebungen geäußert, jedoch bleibt abzuwarten, wie die diesbezüglichen Verfahren konkret weitergehen. Nicht nur, weil hiermit gegebenenfalls erste Pflöcke in Richtung eines „zentralistischen“ Sektorkopplungsansatzes eingerammt werden könnten, wirft der Vorstoß der beteiligten Netzbetreiber doch ganz erhebliche Fragen auf. Diesen gehen wir derzeit juristisch nach...