Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22. Juli 2019 dem von der Bundesnetzagentur im Sommer 2018 eingeführten so genannte Mischpreisverfahren für die Ausschreibung von Sekundärregelleistung und Minutenreserveleistung eine Absage erteilt (Az. 3 Kart 806/18 [V], abrufbar hier). Für die Branche kam die Entscheidung überraschend, hatte doch das OLG Düsseldorf im vorab geführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren noch keine ganz grundlegenden Einwände gegen das Mischpreisverfahren an sich erkennen lassen (vgl. zum Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hier). Umgehend im Nachgang zu der Entscheidung wurden sämtliche Uhren wieder zurückgestellt und bereits seit dem 31. Juli 2019 gelten wieder die alten Ausschreibungsbedingungen, nach welchen die Ausschreibung anhand der Leistungspreise erfolgt und lediglich die Abrufreihenfolge anhand der gebotenen Arbeitspreise. Von Verbänden der Erneuerbare-Energien-Branche wurden die Entscheidungen und die Rückkehr zum alten Ausschreibungsverfahren weitestgehend begrüßt. Indes, die Entscheidung ist nur auf den ersten Blick für die gesamte EE-Branche tatsächlich eine gute Nachricht…
Der Hintergrund – Ausschreibung von Regelenergie
Auf dem Regelenergiemarkt schreiben die Übertragungsnetzbetreiber die Reserven (auch: „Regelleistung“) aus, die sie zum kurzfristigen Ausgleich von Schwankungen im Netz und somit zur Netzfrequenzhaltung benötigen. Unterschieden wird insofern zwischen der Primärreserve, der Sekundärreserve und der Minutenreserve. Diese unterscheiden sich im Hinblick auf den Zeitraum, über welchen der jeweilige Anbieter die Regelleistung im Falle eines Abrufs erbringen muss. Bei der Sekundärreserve und der Minutenreserve wird zudem zwischen positiver Regelleistung (= Strom wird dem Netz durch zusätzliche Einspeisung oder die Abschaltung von Verbrauchern zur Verfügung gestellt) und negativer Regelleistung (= das Netz wird durch eine Einspeisereduzierung oder eine Verbrauchserhöhung entlastet) unterschieden.
Die Regeln, nach welchen die Ausschreibung der Reserveleistung durch die Übertragungsnetzbetreiber vorzunehmen ist, werden von der Bundesnetzagentur vorgegeben. Die Ausschreibung von Sekundär- und Minutenreserve erfolgte dabei lange Zeit auf Basis zunächst eines Leistungspreises in Euro je MW und erst nachrangig auf Basis eines Arbeitspreises in Euro je MWh (vgl. Beschlüsse BK6-15-158 (Sekundärregelung) und BK6-15-159 (Minutenreserve)). Der Leistungspreis ist dabei der Preis, den ein Anbieter alleine dafür erhält, dass er die Reserveleistung bereithält. Den Arbeitspreis erhält er, wenn die angebotene Reserveleistung tatsächlich abgerufen wird und zwar abhängig von den abgerufenen MWh. Die Ausschreibungsbedingungen der Bundesnetzagentur sahen insofern vor, dass der Zuschlag zunächst ausschließlich auf Basis der gebotenen Leistungspreise erfolgt. Die Übertragungsnetzbetreiber ordneten die abgegebenen Gebote also zunächst ausschließlich anhand der gebotenen Leistungspreise in einer Merit-Order-Liste und bezuschlagten, beginnend mit dem niedrigsten Gebot, alle Gebote bis zur Erreichung der ausgeschriebenen Reservemenge. Erst in dem solchermaßen zusammengestellten Regelenergiepool entschied dann der gebotene Arbeitspreis, indem anhand einer weiteren Merit-Order-Liste – beginnend mit dem niedrigsten Arbeitspreis – die jeweiligen Regelleistungsangebote bis zur Deckung des konkreten Regelenergiebedarfs abgerufen wurden, das heißt, die Anlagen mit dem günstigsten Arbeitspreis wurden zuerst abgerufen und die Anlagen mit dem höchsten Arbeitspreis zuletzt.
Die Vorgeschichte – „Mondpreis“-Angebote im Herbst 2017 und Eingriff der Bundesnetzagentur
In dem solchermaßen ausgestalteten Ausschreibungsverfahren konnten die Arbeitspreise dabei vollkommen unabhängig von den gebotenen Leistungspreisen festgelegt werden, also z.B. niedrige Leistungspreise beliebig mit hohen Arbeitspreisen kombiniert werden und so – über einen niedrigen Leistungspreis – sehr hohe Arbeitspreisgebote in die Merit-Order-Liste „rutschen“.
Aus eben diesem Grund wurde das Ausschreibungssystem im Herbst 2017 auf eine harte Probe gestellt, als bei den Ausschreibungen für positive Minutenreserveleistung über einen sehr niedrigen Leistungspreis ein großer Block positiver Minutenreserveleistung zu einem Arbeitspreis von 77.777 Euro/MWh an einer recht frühen Stelle in der Merit-Order-Liste platziert und tatsächlich in erheblichem Umfang abgerufen wurde. In der Folge sprang der Ausgleichsenergiepreis je MWh – die für die Regelleistung zu zahlenden Arbeitspreise werden über die Ausgleichsenergiepreise an die Bilanzkreisverantwortlichen weitergegeben – an jenem 17. Oktober 2017 zwischen 19.15 Uhr und 19.45 Uhr auf fast 25.000 Euro/MWh, eine bis dahin unbekannte Preisspitze. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Ausgleichsenergiepreis lag damals im mittleren zweistelligen bis niedrigen dreistelligen Bereich.
In der Folge wurden die Aufsichtsbehörden aktiv. Zum einen wurde von der Markttransparenzstelle das Anbieterverhalten auf mögliche – grundsätzlich strafrechtlich verfolgbare – Verstöße gegen das Verbot von Insiderhandel und Marktmanipulation überprüft (soweit bekannt ohne Ergebnis). Weiterhin veröffentlichte die Bundesnetzagentur am 2. Januar 2018 eine Mitteilung (BK6-17-255), dass sie die Gefahr einer Wiederholung der Ereignisse vom 17. Oktober 2017 sehe und deshalb der technisch zulässige (Höchst-)Arbeitspreis für Sekundär- und Minutenregelleistung künftig auf 9.999 Euro je MWh begrenzt werde, wobei technische Zulässigkeit tatsächlich meinte, dass die Eingabemaske für die Gebotsabgabe so modifiziert wurde, dass schlicht keine höheren Gebote abgegeben werden konnten.
In einem nächsten Schritt wurde von der Bundesnetzagentur am 31. Januar 2018 ein Festlegungsverfahren zur Änderung der Ausschreibungsbedingungen und Veröffentlichungspflichten für Sekundärregelung und Minutenreserve eröffnet, welches letztlich zur Einführung des sogenannten Mischpreisverfahrens führte, das am 12. Juli 2018 startete (vgl. Beschlüsse BK6-18-019 (Sekundärregelung) und Beschluss BK6-18-020 (Minutenreserve)). Die maßgebliche Änderung im Vergleich zum bis dahin geltenden Ausschreibungsverfahren lag dabei darin, dass die Bezuschlagung der einzelnen Angebote und somit die Zusammenstellung des Regelenergiepools nicht mehr ausschließlich auf Basis des gebotenen Leistungspreises erfolgte, sondern auch der gebotene Arbeitspreis in die der Bezugschlagung zugrunde liegende Merit-Order-Liste einfloss. Konkret wurden hierfür der Leistungspreis und der Arbeitspreis addiert, wobei der Arbeitspreis zuvor mit einem Gewichtungsfaktor multipliziert wurde. Der Gewichtungsfaktor bildete dabei die durchschnittliche Abrufwahrscheinlichkeit aller bezuschlagten Gebote ab (eine Zahl im einstelligen Prozentbereich, weswegen der Arbeitspreis zwar nur zu einem geringeren Anteil in den zuschlagsrelevanten Mischpreis einfloss, allerdings der Bezuschlagung von Geboten im fünfstelligen Bereich durchaus wirksam entgegenwirkte).
Allerdings war zum Zeitpunkt der Einführung des Mischpreisverfahrens schon klar, dass dieses nur eine Übergangslösung darstellen würde, da die EU-Systemausgleichsverordnung (Verordnung (EU) 2017/2195 der europäischen Kommission vom 23. November 2017 zur Festlegung einer Leitlinie über den Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem) ohnehin fordert, europaweit einheitliche Regelarbeitsmärkte einzuführen. Nach den europarechtlichen Vorgaben sollen auf diesen Regelarbeitsmärkten zusätzlich zu den Geboten im Rahmen der eigentlichen Ausschreibungen die Anbieter künftig auch nach Ablauf der eigentlichen Angebotsfrist noch so genannte freie Gebote nur mit einem Arbeitspreis abgeben dürfen. Weiterhin soll es Anbietern möglich werden, Arbeitspreisgebote später noch zu ändern. Mechanismen, die sicherlich ebenfalls einen höheren Preisdruck auf die Arbeitspreise ausüben dürften, aber mit dem eingeführten Mischpreisverfahren nur schwer zu vereinen wären…
Gegen die Beschlüsse der Bundesnetzagentur zur Einführung des Mischpreisverfahrens legte die NEXT Kraftwerke GmbH unmittelbar nach Verabschiedung im Sommer 2018 Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein und begehrte zugleich einstweiligen Rechtsschutz. Hintergrund war, dass sich die NEXT Kraftwerke GmbH als Anbieter von „teureren“ Anlagen, die einen höheren Arbeitspreis für die Teilnahme am Regelenergiemarkt anbieten müssen, durch das neue Mischpreissystem diskriminiert und vom Markt gedrängt sah.
In seinem entsprechenden Beschluss zum einstweiligen Rechtsschutz vom 11. Juli 2018 (abrufbar hier) sah das OLG Düsseldorf zunächst aber keine Gründe, an der grundsätzlichen Rechtsmäßigkeit der Einführung des Mischpreisverfahrens in der gegebenen Form zu zweifeln. Allerdings gab das OLG Düsseldorf der Beschwerde dahingehend Recht, dass das Mischpreisverfahren überstürzt eingeführt worden war und den Marktbeteiligten nicht genug Zeit gegeben worden war, sich auf die neuen Ausschreibungsbedingungen hinreichend einzustellen. Vor diesem Hintergrund gab das Oberlandesgericht Düsseldorf allen Beteiligten einen Aufschub um drei Monaten auf, wodurch das neue Mischpreisverfahren – gerade erst begonnen – bereits wieder bis zum 15. Oktober 2018 ausgesetzt und bis dahin zum alten System zurückgekehrt wurde, allerdings unter Beibehaltung der Preisobergrenze von 9.999 Euro je MWh.
Ende des Mischpreisverfahrens - Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
In seinem Beschluss zur Hauptsache vom 22. Juli 2019 brachte das OLG Düsseldorf – für alle Beobachter durchaus überraschend – das Mischpreisverfahren dann zu Fall und hob die entsprechenden Beschlüsse der Bundesnetzagentur BK6-18-019 (Sekundärregelung) und BK6-18-020 (Minutenreserve) auf. In der Folge der Aufhebung galten wieder die alten Beschlüsse BK6-15-158 (Sekundärregelung) und BK6-15-159 (Minutenreserve) und der Regelenergiemarkt kehrte ab dem Ausschreibungstermin 30. Juli 2019 zum alten Ausschreibungsverfahren mit getrennten Leistungs- und Arbeitspreisen zurück. Prompt stiegen auch wieder die Arbeitspreise am Regelenergiemarkt.
In rechtlicher Hinsicht hielt das OLG Düsseldorf allerdings keineswegs das Mischpreisverfahren an sich für grundsätzlich rechtswidrig. Vielmehr begründete es den Beschluss damit, dass über einen (zu) langen Zeitraum zur Preisfindung auf einen durchschnittlichen Gewichtungsfaktor abgestellt wurde anstatt einen auf die Abrufwahrscheinlichkeit einzelner Gebote abstellenden individuellen Gewichtungsfaktor. Ein solcher individueller Gewichtungsfaktor wäre nach Auffassung des OLG Düsseldorf nämlich die sachgerechtere Methode der Preisfindung gewesen und hätte auch Anbietern wie der NEXT Kraftwerke GmbH, deren angebotene Technologien vergleichsweise hohe Arbeitsgrenzkosten aufweisen, hinreichende Chancen auf dem Regelenergiemarkt belassen. Eine Ausschreibung mittels eines durchschnittlichen Gewichtungsfaktors bevorzuge hingegen systematisch Anbieter mit vergleichsweise niedrigen Arbeitsgrenzkosten, also in der Regel Anbieter fossiler Kraftwerke. Für die Einführung eines durchschnittlichen Gewichtungsfaktors habe insofern lediglich gesprochen, dass dieser einfacher ermittelt, transparenter bekanntgemacht und kurzfristiger umgesetzt werden konnte. Diese Argumente würden aber – vor dem Hintergrund der vom Gericht festgestellten Ungleichbehandlung der verschiedenen Technologien – nur für einen Übergangszeitraum tragen. Diesen sah das Gericht im Zeitpunkt der Entscheidung erreicht bzw. überschritten, war doch mittlerweile klar geworden, dass die europarechtlich geforderten Regelarbeitsmärkte wohl frühestens Ende 2020 eingeführt werden würden. Einen Zeitraum von 2 ½ Jahren wollte das Gericht der Bundesnetzagentur aber schlicht nicht mehr als „Übergangszeitraum“ zugestehen.
Fazit
Von Verbänden der Erneuerbaren-Energien-Branche wurde der Beschluss des OLG Düsseldorf zunächst recht einhellig als Erfolg gewertet, hatte er doch zur Folge, dass auch Anbieter von Technologien mit höheren Arbeitsgrenzkosten – dies sind im Bereich der erneuerbaren Energien insbesondere Biogasanlagen – wieder bessere Aussichten hatten, mit Erfolg am Regelenergiemarkt teilzunehmen. Unbestritten ist wohl auch, dass das Mischpreisverfahren insgesamt, also für alle Netznutzer, zu höheren Kosten geführt hatte. Zwar waren nach Einführung des Mischpreisverfahrens die Arbeitspreise gesunken, gleichzeitig war es aber zu einem nicht unerheblichen Anstieg der Leistungspreise gekommen, welcher die Reduzierung der Arbeitspreise bei weitem aufwog. Dies zeigte sich nur nicht durch entsprechend deutliche Preisspitzen, da die von den Netzbetreibern für die Vorhaltung von Regelleistung ausgezahlten Leistungspreise über die Netzentgelte von allen Netznutzern getragen werden und so der Anstieg auf viele Schultern verteilt für den Einzelnen nicht übermäßig ins Gewicht fiel.
Allerdings zeigte sich auch sehr schnell die Kehrseite der Aufhebung des Mischpreisverfahrens. So werden nämlich die von den Netzbetreibern im Rahmen des Regelenergieabrufs bezahlten Arbeitspreise – anders als die Leistungspreise – im Rahmen der Abrechnung der in Anspruch genommenen Ausgleichsenergie an den recht überschaubaren Kreis der Bilanzkreisverantwortlichen – also der Stromhändler und Direktvermarkter – weitergegeben. Diese müssen für Ungleichgewichte in ihrem Bilanzkreis, also für einen positiven oder negativen Saldo zwischen Ein- und Ausspeisung, von den Netzbetreibern Ausgleichsenergie in Anspruch nehmen. Hierfür zahlen sie einen Ausgleichsenergiepreis ("regelzonenübergreifender einheitlicher Ausgleichsenergiepreis", kurz reBAP). Und wenn der für Regelenergie zu zahlende Arbeitspreis steigt, steigt auch der Ausgleichsenergiepreis, wobei gerade Preisspitzen im fünfstelligen Bereich hier auch schnell zu immensen Kosten für den einzelnen Bilanzkreisverantwortlichen führen können.
Besonders betroffen hiervon sind wiederum die Vermarkter von Windenergie- und Solaranlagen, da es aufgrund der fluktuierenden Erzeugung zwangsläufig zu Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlicher Einspeisung kommt und deshalb von diesen regelmäßig Ausgleichsenergie in Anspruch genommen werden muss. In der Folge sind es dann aber auch die Vermarkter von Windenergie- und Solaranlagen, die von den hohen Arbeitspreisen und insbesondere den Preisspitzen in besonderem Maße betroffen sind. Die ersten Direktvermarkter hatten deshalb auch bereits versucht, die gestiegenen Kosten im Rahmen vertraglich vereinbarter Preisanpassungsklauseln an ihre Kunden, die Betreiber von Windenergie- und Solaranlagen weiterzugeben. Ob dies gerechtfertigt ist, sollte zwar stets anhand der vertraglichen Vereinbarungen genau geprüft werden. Eins zeigt sich aber an diesem Vorgang deutlich: Ein eindeutiger Gewinn für die gesamte Erneuerbare-Energien-Branche war die Aufhebung des Mischpreisverfahrens nicht.
Vielmehr ist nun die Bundesnetzagentur gefordert, sich zügig an die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu machen und endlich ein ausgewogenes und für alle Marktbeteiligten angemessenes Regelenergiesystem zu erarbeiten, welches weder übermäßige und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigende Preisausschläge noch eine systematische Benachteiligung einzelner Marktteilnehmer zur Folge hat. Und diesbezüglich ist die Bundesnetzagentur dann auch bereits im Oktober aktiv geworden, indem sie zunächst die Übertragungsnetzbetreiber aufforderte, wieder die – bereits aus dem Jahr 2018 bekannte – technische Preisobergrenze von 9.999 Euro einzuführen, was zu einer Beruhigung der Preis am Regelenergiemarkt und somit auch der Ausgleichsenergiepreise führen dürfte. Zugleich kündigte die Bundesnetzagentur an, dass spätestens zum 1. Juni 2020 der Regelarbeitsmarkt starten wird (die entsprechende Pressemitteilung der Bundesnetzagentur vom 8. Oktober 2019 findet sich hier).