Immer wieder kommen Genehmigungsverfahren zum Erliegen oder werden Genehmigungsanträge ablehnend beschieden, weil die geplanten Windenergieanlagen im vermeintlichen Konflikt mit dem geschützten Landschaftsbild und /oder denkmalgeschützten Bauten stehen.
Mit einem solchen Fall hatte sich nun auch jüngst das Oberverwaltungsgericht Koblenz in der Berufungsinstanz zu befassen. Hier ging es um die Errichtung von drei Windenergieanlagen in der Nähe der UNESCO Welterbestätte „Oberes Mittelrheintal“. Mit Urteil vom 6. Juni 2019 gaben die Richter des ersten Senats der Klage einer Vorhabenträgerin statt und verpflichteten die Genehmigungsbehörde zur Aufhebung des Ablehnungsbescheides und zum Erlass eines neuen Bescheids.
Entgegen der Vorinstanz haben die Koblenzer Richter eine behauptete Verunstaltung des Landschaftsbildes durch die zu errichtenden Windenergieanlagen abgelehnt. Maßgeblich stützt sich der Senat dabei auf die bei einem Ortstermin vorgenommene Inaugenscheinnahme von vier Betrachtungspunkten.
Hintergrund
Ursprünglich hatte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit der Begründung abgelehnt, dass dem Vorhaben öffentliche Belange entgegenstünden. Hierbei hatte sich der Beklagte auf Gründe des Landschaftsbildes sowie des Denkmalschutzes berufen. Der Erhaltung der natürlichen Eigenart der Landschaft, dem Landschaftsbild sowie dem Denkmalschutz komme angesichts dessen, dass die geplanten Anlagen unmittelbar an den Rahmenbereich des Weltkulturerbes „Oberes Mittelrheintal“ angrenzten, besondere Bedeutung zu. Vorliegend habe die gesamte Landschaft wegen ihrer Eigenart und Schönheit mit ihren Ruinen, Burgen und Schlössern als Ensemble mit den mittelalterlichen Ortschaften und der einzigartigen Kulturlandschaft nach Ansicht des Beklagten den Status eines Denkmals von weltweiter Bedeutung. In dieser Landschaft seien die geplanten Anlagen mit einer Gesamthöhe von fast 200 Metern und einem Rotordurchmesser von 101 Metern weithin sichtbar. Maßgeblich berief sich der Beklagte auf eine vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur und dem Zweckverband Oberes Mittelrheintal gemeinsam beauftragte Sichtachsenstudie, welche für verschiedene ausgewählte Blickpunkte hohes Konfliktpotenzial von Landschaft und Windenergie ergeben hatte.
Die Entscheidung der Vorinstanz
Das Verwaltungsgericht Koblenz hatte die Klage der Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid zunächst abgewiesen. Das Gericht war der Ansicht, dass Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange, da es – auch unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber vorgenommenen Privilegierung von Windenergieanlagen – das Landschaftsbild verunstalte, indem es an exponierter Stelle in einem landschaftlich reizvollen Gelände grob unangemessen in die Landschaft eingreife. Das Verwaltungsgericht hatte sich in seiner Entscheidung insbesondere auf die Landesverordnung „Landschaftsschutzgebiet Rheingebiet von Bingen bis Koblenz“ und die bereits angeführte Sichtachsenstudie gestützt. Es sei vorliegend davon auszugehen, dass sich die Anlagen auf das Rheintal und seine Seitentäler mit den das Landschaftsbild prägenden, noch weitgehend naturnahen Hängen und Höhenzügen verunstaltend auswirkten, insbesondere bestünden keine vergleichbare Vorbelastungen, so das Verwaltungsgericht.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
Das OVG Koblenz hat nun entschieden, dass durch die geplanten Windenergieanlagen keine Verunstaltung des Landschaftsbilds zu befürchten sei.
Zwar liege im Regelfall eine Beeinträchtigungdes Landschafsbildes durch die Windenergieanlagen vor. Eine Verunstaltung im Sinne des § 35 Absatz 3 Nummer 5 BauGB sei hierin jedoch nur dann zu sehen, wenn „das Vorhaben in dem jeweiligen Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und auch von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird“, so das Gericht, welches insofern die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu fortführt.
Für die Beurteilung der Frage, wann eine Verunstaltung vorliege, komme es zum einen auf die Schutzwürdigkeit der konkreten Landschaft an (maßgeblich insofern insbesondere die ggf. bestehenden Vorbelastungen) und zum anderen auf das der jeweiligen baulichen Anlage eigene Potential zur Beeinträchtigung des Landschaftsbildes. Insgesamt könne nach Maßgabe dieser Grundsätze eine Verunstaltung des Landschaftsbilds durch Windenergieanlagen nur in Fällen angenommen werden, in denen in eine wegen ihrer Schönheit und Funktion ganz besonders schutzwürdige Umgebung in einer diese Schönheit und Funktion in mehr als unerheblichem Maße beeinträchtigenden Art und Weise eingegriffen werde oder es sich um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handele.
Zwar sei das Gebiet des Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal vom Grundsatz her zweifelsfrei eine besonders schutzwürdige Landschaft, so das Oberverwaltungsgericht. Damit ein Landschaftsbild durch eine bauliche Anlage in diesem Sinne beeinträchtigt werden kann, müssten nach Ansicht des Gerichts aber beide in einer bestimmten „optischen Beziehung“ zueinander stehen. Die Annahme einer derartigen optischen Beziehung setze wiederum Betrachtungspunkte voraus, von denen aus das zu schützende und das auf sein Störpotential hin zu untersuchende Objekt in den Blick genommen werden könnten.
Hierbei betonte das Gericht, es sei von besonderer Bedeutung, dass für einen an dem jeweiligen Betrachtungspunkt stehenden Betrachter die ggf. störenden Anlagen in schutzzweckrelevanter Weise bedeutsam sind. Dies setze zum einen quantitativ eine gewisse Häufigkeit der Frequentierung durch potentielle Betrachter voraus. Inhaltliche Voraussetzung sei zum anderen, dass der Zweck, zu dem diese potentiellen Betrachter die Örtlichkeit aufsuchten, in einem inneren Zusammenhang mit dem zu schützenden Landschaftsbild stünden, so das Gericht.
Sodann sei eine schützenswerte optische Beziehung im Einzelfall tendenziell umso eher anzunehmen, als man von dem entsprechenden Standort aus beide Komponenten – schützenswertes Landschaftsbild und das auf sein Störpotential zu untersuchende Vorhaben – „auf einen Blick“ wahrnehmen könne, die potentiell beeinträchtigende Anlage also gleichsam als „Kulisse“ des zu schützenden Landschaftsbilds erscheine.
Nach Anwendung dieser Grundsätze sah das Gericht vorliegend die im Ablehnungsbescheid sowie im erstinstanzlichen Urteil angenommenen erheblichen Beeinträchtigungen nicht gegeben. Nach der Durchführung eines Ortstermins zu den nach dem beigebrachten Gutachten als am stärksten mit Konfliktpotenzial behafteten Blickpunkten ließen sich nach Ansicht des erkennenden Senats entweder bereits keine relevanten Sichtbeziehungen feststellen oder wenn eine solche festgesellt werden konnten, so seien diese nicht derart störend, dass eine Verunstaltung vorliegen würde. Hierbei fielen insbesondere die nach Ansicht des Gerichts vorhandenen Vorbelastungen der Landschaft - insbesondere durch Wohnbebauung und Infrastruktureinrichtungen - ins Gewicht.
Dem Vorhaben stehe entgegen dem ablehnenden Bescheid des Beklagten auch nicht entgegen, dass es die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtige, so das Gericht. Beim Rheintal und seinen Seitentälern handele es sich keineswegs durchweg um ein von der Zivilisation bislang weitgehend unberührt gebliebenes bzw. weitestgehend naturnah verbliebenes Gebiet.
Bereits von daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Landesverordnung über das „Landschaftsschutzgebiet Rheingebiet von Bingen bis Koblenz“ die Errichtung derartiger infrastruktureller Baulichkeiten als solche weitestgehend ausschließen will.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Denkmalschutzgesetz. Eine gleichzeitige Sichtbarkeit von Anlagen und der vorhandenen denkmalgeschützten Burgen im Gebiet ergebe sich lediglich von einigen wenigen relevanten Betrachtungspunkten in der Ferne, wobei die Windenergieanlagen dort entfernungsbedingt nur noch in einer geringen Größe – und auch nur am Rande des Blickfeldes – wahrgenommen werden würden.
Bewertung
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts überzeugt insbesondere durch die genaue Herausarbeitung des Prüfungsmaßstabes im Hinblick auf die Bewertung der optischen Sichtbeziehungen zwischen schützenswerter Landschaft und der zu errichtenden Anlage.
Deutlich wird insbesondere auch die Relevanz der Wahl der Betrachtungspunkte in den verfahrensrelevanten Sichtachsenstudien. Diese sollten im zweifelsfrei kritisch hinterfragt werden, insbesondere in Bezug auf die tatsächliche Frequentierung durch potenzielle Betrachter (entlegenes Gebiet oder „touristischer Hotspot“?) und den Zweck, mit dem sich diese an dem Betrachtungspunkt aufhalten. Dieser sollte in Zusammenhang mit der schützenswerten Landschaft stehen, demnach gerade dazu erfolgen, um die Landschaft zu „genießen und wertzuschätzen“. Diese Fragen können wichtige Rückschlüsse über die Aussagekraft der gewählten Blickpunkte geben, selbst wenn einzelne Blickpunkte ggf. ein erhöhtes Störpotenzial aufweisen sollten.
Ebenso relevant ist die sich von dem Standpunkt aus ergebende Blickbeziehung zwischen der schützenswerten Landschaft und potentiell störenden Objekten. Eine Blickbeziehung ist umso belangvoller, je öfter sich die Landschaft und das Störobjekt quasi „auf einen Blick“ gemeinsam durch den Betrachter wahrnehmen lassen. Umgekehrt gilt, dass dann gerade keine ausschlaggebende Blickbeziehung anzunehmen ist, wenn sich Landschaft und Störobjekt nur am Rande des Sichtfeldes bzw. nur von wenigen Blickpunkten aus überhaupt gemeinsam wahrnehmen lassen. Ob die Entscheidung insofern auch für mehr Rechtssicherheit beim Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen sorgen wird, bleibt abzuwarten.
Sie haben Fragen zu denkmal- oder landschaftsschutzrechtlichen Belangen im Rahmen der Errichtung einer Windenergieanlag oder haben selbst einen ablehnenden Bescheid erhalten? Sprechen Sie uns an!