Die Konzentrationswirkung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens für Windenergieanlagen – die neue Rechtsunsicherheit des nachträglichen Typenwechsels?

19.02.2020 Die Konzentrationswirkung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens für Windenergieanlagen – die neue Rechtsunsicherheit des nachträglichen Typenwechsels?

Aus verschiedenen Gründen hat sich in der Windbranche in den letzten Jahren das Bedürfnis spürbar vergrößert, nach Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung Änderungen des Anlagentyps durchzuführen. Die Gründe dafür sind vielfältig, häufig aber führen lange Genehmigungsverfahren dazu, dass der genehmigte Anlagentyp nach Genehmigungserteilung im Markt nicht mehr zur Verfügung steht. Auch andere Gründe, etwa fehlende Marktverfügbarkeit und Marktgängigkeit von Fabrikaten sind bekannt. Bei einem nicht unbeträchtlichen Anteil genehmigter Windenergieprojekte ist ein Typenwechsel nach Erteilung der Genehmigung daher obligatorisch. Um den Typenwechsel möglichst unproblematisch zu gestalten, werden vielfach sogar Typenwechsel vollzogen, bei denen die Ausmaße des alten und neuen Typs der Windenergieanlagen weitgehend unverändert bleiben, wobei aber einzelne bauliche Änderungen trotzdem erforderlich sind (bspw. Fundamentierung).

Zum Hintergrund: Anzeigeverfahren und Änderungsgenehmigung – was ist was?

Bedeutet der Typenwechsel nur oder höchstens geringfügige Änderungen in den konstruktiven Ausmaßen der Windenergieanlagen, ist in der genehmigungsrechtlichen Praxis der Weg der Wahl, den Typenwechsel über das sog. Anzeigeverfahren gemäß § 15 BImSchG durchzuführen. Das Anzeigeverfahren ist dann möglich, wenn keine negativen immissionsschutzrechtlichen Veränderungen mit dem Typenwechsel einhergehen, sog. unwesentliche Änderung. Die Anzeige führt in diesem Fall zur Genehmigungsfreistellung durch die Behörde, immissionsschutzrechtlich ist eine Genehmigung der Änderung also nicht erforderlich. Da es sich bei dem Anzeigeverfahren gerade um kein Genehmigungsverfahren handelt, gilt für dieses auch die sonst im Immissionsschutzrecht greifende Verfahrens- und Entscheidungskonzentration (§ 13 BImSchG) nicht. Änderungen der Statik oder Fundamentierung sind also durch eine Tektur der Baugenehmigung von der Bauaufsichtsbehörde zu genehmigen. Der Vorhabenträger muss sich darum selbst kümmern.

Wird ein Änderungsgenehmigungsverfahren gemäß § 16 BImSchG für den Typenwechsel erforderlich, weil entweder eine Verschlechterung der Immissionssituation durch die Änderung mindestens zu befürchten ist oder der Vorhabenträger freiwillig das Änderungsverfahren (§ 16 Absatz 4 BImSchG) wählt, gilt die Konzentrationswirkung weiter, die Immissionsschutzbehörde ist für das gesamte Verfahren zuständig und an dessen Ende ergeht eine Änderungsgenehmigungsentscheidung, die alle die Windenergieanlage betreffende Zulassungsentscheidungen „einkonzentriert“. Diese Änderungsgenehmigung tritt dann als selbstständige behördliche Entscheidung zur Ursprungsgenehmigung hinzu, beide Genehmigungsentscheidungen können aber, wenn erforderlich, inhaltlich von der Genehmigungsbehörde miteinander verknüpft werden.

Zum Hintergrund: Was ist die Konzentrationswirkung im Immissionsschutzrecht?

Die Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG bedeutet, dass die Immissionsschutzbehörde für die Genehmigung einer immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlage, für deren Errichtung und Betrieb grundsätzlich mehrere Zulassungsentscheidungen erforderlich sind (bspw. Baugenehmigung, wasserrechtliche Genehmigung, naturschutzrechtliche Ausnahme…) ein einheitliches Genehmigungsverfahren führt, an dessen Ende eine einheitliche Genehmigung steht. In dieser sind alle für die Anlage erforderlichen Zulassungsentscheidungen enthalten. Dies gilt sogar dann, wenn die Immissionsschutzbehörde sich nicht über jede der miterteilten Zulassungsentscheidungen bewusst ist. Werden „einkonzentrierte“ Zulassungsentscheidungen separat vor oder nach der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erteilt, sind diese sogar rechtswidrig und müssen aufgehoben werden (denn sie werden oder sind ja bereits mit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erteilt). Die Konzentrationswirkung endet mit Erteilung der immissionsschutzrechtlichen (Änderungs-)Genehmigung. Nach ihrer Erteilung fallen die Zuständigkeiten an die Fachbehörden zurück.

Die Bedeutung der Konzentrationswirkung im immissionsschutzrechtlichen Kontext wird in der Gesetzesbegründung wie folgt prägnant erläutert (BT-Drs. 7/179, S. 35):

„Sie dient der Verwaltungsvereinfachung, insbesondere der Beschleunigung des Verfahrens; sie verhindert einander widersprechende Entscheidungen der verschiedenen, für die einzelnen Rechtsgebiete zuständigen Behörden; sie gestattet es, die sich aus den verschiedensten rechtlichen Gesichtspunkten an die Anlage zu stellenden Anforderungen in optimaler Weise aufeinander abzustimmen; sie bringt für den Unternehmer größtmögliche Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, eine Voraussetzung für eine zügige Planung und Produktionsaufnahme.“

Die neue Rechtsunsicherheit des Typenwechsels, oder: Alles neu macht das OVG Lüneburg?

Im Kontext der Bedeutung der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg nunmehr mit Eilentscheidung vom 19. Dezember 2019 (Az. 12 ME 168/19, abrufbar hier) eine Entscheidung getroffen, die erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. Die Lüneburger Senatsrichter hatten einen Sachverhalt zu bewerten, in dem der Typenwechsel einer genehmigten Windenergieanlage als unwesentliche Änderung angezeigt wurde, eine relevante Änderung der Anlage ergab sich ausschließlich in der Fundamentierung. Besonderheit des Sachverhalts war, dass der Anlagentypwechsel und das entsprechende Anzeigeverfahren während eines anhängigen und laufenden Drittwiderspruchsverfahrens stattfanden. Der 12. Senat des OVG Lüneburg sah sich nunmehr gezwungen, im Rahmen eines Eilverfahrens die Bedeutung des Drittschutzes der Konzentrationsnorm des § 13 BImSchG in ein völlig neues Licht zu rücken.

Was ist passiert?

Das OVG Lüneburg deutet in der Entscheidung an, dass bei laufenden Drittanfechtungsverfahren gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung bei Änderungen der genehmigten Anlage die Anwendung der §§ 15, 16 BImSchG gesperrt sei und vielmehr eine Änderung des (ursprünglichen) Genehmigungsantrags erfolgen müssen, um dann die gewünschte „Modifikation der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung herbeizuführen“. Es sei nämlich, so der Senat, nicht mit § 13 BImSchG und der Konzentrationswirkung der Genehmigung vereinbar, wenn bei laufender Drittanfechtung die die Anlage betreffende Zulassungsentscheidungen nicht mehr in einer Genehmigung konzentriert seien, da dann das Widerspruchsverfahren im Grunde – genauso wie die Genehmigung selbst – auf die Einzelteile der Genehmigung aufgeteilt werden müsse.

Weiter erläutert das OVG Lüneburg, ein Widerspruchsverfahren stelle sich „gerade als Fortführung des Verwaltungsverfahrens dar“, so dass nach verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätzen – ähnlich einer nachträglichen Heilung - im Widerspruchsverfahren ein „offener Zugriff“ auf das ursprüngliche Genehmigungsverfahren bestehe und damit auch auf den ursprünglichen Genehmigungsantrag selbst. Diese Wertung wiederum würde ja durch die Regelung im Umweltverfahrensrecht bestätigt, das zur Heilung von Fehlern der Genehmigung ausdrücklich ein „ergänzendes Verfahren“ vorsehe. Diese Ausführungen dienen, so jedenfalls unsere Interpretation der nicht ganz einfach zu lesenden Entscheidungsbegründung, dazu, zu erläutern, dass zum Zwecke der Wahrung der Konzentrationswirkung der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die (gewissermaßen „nachträgliche“) Antragsänderung den, ein zusätzliches Verwaltungsverfahren benötigenden, Instrumenten von §§ 15, 16 BImSchG vorgehen müsse.

Schließlich, so der Senat, könne sich auch ein Dritter auf eine – nach Auffassung des Gerichts – unerwünschte „Konzentrationsauflösung“ der Genehmigung während einer Drittanfechtung berufen, sie bedeute also eine Rechtsverletzung des Dritten. Das Gericht insoweit:

„Denn bei dem von dem Antragsgegner gewählten Verfahren wird der Antragsteller anders als im Standardfall der Erteilung nur einer (geänderten) immissionsschutzrechtlichen „Vollgenehmigung“ gezwungen, gegen mehrere Verwaltungsakte mit einem entsprechenden Zusatzaufwand und -kostenrisiko vorzugehen.“

Und zuletzt deutet das Gericht noch an, was nun zu tun sei:

„[Es] könnte der genannte [...] Verfahrensfehler – sei es im noch laufenden Widerspruchsverfahren oder […] in einem ergänzenden Verfahren – durch Erteilung eines allein immissionsschutzrechtlichen Bescheides für das Vorhaben der Beigeladenen [des Vorhabenträgers] in der aktuell beabsichtigen Gestalt behoben werden.“

Und was bedeutet das?

Gute Frage. Jedenfalls ist der Entscheidung zu entnehmen, dass das OVG Lüneburg der Ansicht ist, dass während eines laufenden Drittschutzes gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Falle von Änderungen des Vorhabens nur eine Änderung des ursprünglichen Genehmigungsantrags zulässig sei, die Anwendung von §§ 15, 16 BImSchG also „gesperrt“ sei, da der „Konzentrationszustand“, den § 13 BImSchG der Genehmigung verschafft hat, zum Schutz einen anfechtenden Dritten aufrecht erhalten bleiben müsse. Und: Jener Dritte kann diese Anforderung auch im Rechtswege durchsetzen. Nach der Lesart der Entscheidung wird sogar die Ausgangsgenehmigung selbst (!) rechtswidrig, finden nachträgliche Änderungen der Anlage statt, die die Erteilung einer zusätzlichen Zulassungsentscheidung notwendig machen.

Das ist ganz schön „harter Tobak“ für die Praxis der Windenergieprojektierung. Denn: Wäre dieses „schärfste“ Verständnis der Entscheidung zutreffend, wäre bei genehmigten Windenergieanlagen, deren Genehmigung angefochten wird, eine Typenänderung nur über eine Antragsänderung möglich. Auf den ersten Blick mag dies noch nicht so schlimm wirken, auf den zweiten Blick aber eröffnet sich folgende verfahrensrechtliche Folge.

Nehmen wir – übrigens entgegen der ganzen herrschenden juristischen Ansicht – an, ein Widerspruchsverfahren stellte kein eigenständiges Verwaltungsverfahren dar, sondern „öffnete“ das ursprüngliche Genehmigungsverfahren (das ja im Sinne des § 9 VwVfG mit Erteilung der beantragten Genehmigung endete) wieder – oder mit dem OVG Lüneburg: „führt das Genehmigungsverfahren fort“ – und in diesem Rahmen wird nun der Genehmigungsantrag inhaltlich geändert. Dann befänden wir uns in dem Dilemma, dass bereits eine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist, die nun nicht mehr inhaltlich dem gestellten Antrag entspricht. Was würde passieren?

  • Für einen solchen Fall sieht das Verwaltungsverfahrensrecht keine Möglichkeit vor, die – dann ja nicht antragsgemäß ergangene – Entscheidung zu modifizieren. Einzig denkbare Möglichkeit wäre eine Umdeutung (§ 47 VwVfG), wofür aber eine Fehlerhaftigkeit, im Sinne von „Rechtswidrigkeit“, der Ursprungsentscheidung erforderlich wäre. Diese liegt allerdings nicht vor, vielmehr ist schlicht etwas anderes genehmigt, als beantragt.
  • Es bliebe im Ergebnis nur die Aufhebung der Genehmigung und der Erlass einer Neugenehmigung. Dies hätte allerdings zur Folge, dass Rechtsschutzfristen neu zu laufen begännen und mit Blick auf § 36f EEG auch ein bereits für die Ursprungsgenehmigung erteilter Zuschlag erlösche. Auch weitere, an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung gebundene Rechtsfolgen wären neu zu bewerten.
  • Dem Drittanfechtenden wäre ganz nebenbei auch nicht geholfen, denn der ursprüngliche Verfahrensgegenstand entfiele und er müsste erneuten Rechtsschutz gegen die neuerteilte Genehmigung suchen. Insgesamt würde man das wohl eine „lose-lose-Situation“ nennen.

Vielleicht meint das Gericht auch etwas anderes. Kommen wir zurück auf das „ergänzende Verfahren“ und die „Erteilung eines allein immissionsschutzrechtlichen Bescheides“, wie es das Gericht als Interventionspotential benennt. Welche Möglichkeiten bestehen noch und wie sind diese zu bewerten?

  • Im Falle der Durchführung eines ergänzenden Verfahrens zur Änderung der genehmigten Anlage (also keine „Öffnung“ des abgeschlossenen Genehmigungsverfahrens), was auf Grundlage des Umweltverfahrensrechts sowieso nur für Vorhaben möglich ist, auf die das Umweltverfahrensrecht auch Anwendung findet (bspw. nicht auf die Genehmigung von zwei nicht UVP-pflichtigen Vorhaben), erginge ein Ergänzungsbescheid, der zur Ausgangsgenehmigung hinzuträte. Da der Drittrechtsschutzsuchende aber ggf. nicht durch die Ausgangsgenehmigung selbst, wohl aber durch die mit Ergänzungsbescheid zugelassene Änderung in seinen Rechten verletzt sein könnte, wird er schon aus Aspekten der Rechtesicherung auch den Ergänzungsbescheid mit anfechten müssen.
  • Erging ein – wie auch immer beschaffener und auf welcher Rechtsgrundlage auch immer erteilter – „allein immissionsschutzrechtlicher Bescheid“, wie es das Gericht anbietet, gälte im Kern dasselbe, wie zuvor. Auch hier wäre eine zusätzliche Anfechtung dieser Entscheidung durch den Drittrechtsschutzsuchenden im Grunde alternativlos.
  • Auch hier also ist das gesetzte Ziel des Gerichts, der Drittrechtsschutzsuchende möge es – egal, was während der Drittanfechtung auch an Änderungen der Anlage vorgenommen werden – immer nur mit der konzentrierenden (Ursprungs-)Genehmigung zu tun haben, nicht erreicht.

In der Bewertung ist demnach festzustellen, dass keine der möglichen Lösungen das vom Gericht offenbar gewünschte Ziel erreichen lässt. Es fällt sogar auf, dass ein wie auch immer gearteter Ergänzungsbescheid qualitativ die gleiche Situation wie nach der Erteilung einer Änderungsgenehmigung im Sinne des § 16 BImSchG begründet: auch die Änderungsgenehmigung tritt zur Ausgangsgenehmigung hinzu, auch sie müsste aus Gründen der Rechtesicherung von einem Drittrechtsschutzsuchenden (mit-)angegriffen werden. Ob das Gericht daher die Änderungsgenehmigung auch in den Bedeutungshorizont der eigenen Entscheidung tatsächlich einbeziehen will, dürfte daher bezweifelt werden. Im Ergebnis sollte damit jedenfalls das fakultative Genehmigungsverfahren im Sinne des § 16 Absatz 4 BImSchG derzeit für Rechtssicherheit bei Projektieren sorgen dürfen.

Im Falle der Anzeige einer unwesentlichen Änderung nach § 15 BImSchG kann das Argument gebracht werden, dass auf Grund des Endes der Konzentrationswirkung ein Rechtsschutzsuchender ggf. mit einer Vielzahl an Einzelentscheidung konfrontiert ist, die er – zur maximalen Rechtsicherung – alle einzeln anzufechten habe. Das mag sogar in der Vorstellung eines worst-case-Sachverhalts denkbar sein. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass er – wenn bei der jeweiligen Zulassungsentscheidung die Möglichkeit der Berührung seiner Rechtsposition besteht – auch jedes einzelne Mal vor der Zulassungsentscheidung beteiligt wird. Er befindet sich somit in voller Kenntnis aller zusätzlichen Entscheidungen, die ihn ggf. betreffen könnten, was in der Regel bei Windenergieanlagen nicht viele sein können. Die Entscheidung über die Freistellung im Sinne des § 15 BImSchG kann ihn schon per se nicht betreffen, da diese voraussetzt, dass sich die immissionsschutzrechtliche Situation nicht verschlechtert.

Zudem, dazu wurde oben die Gesetzesbegründung zum § 13 BImSchG zitiert, dient der Schutzzweck der Konzentrationswirkung im Immissionsschutzrecht der Rechtssicherheit des Vorhabenträgers und der Verwaltungsvereinfachung, nicht dem Rechtsschutz von Drittrechtsschutzsuchenden. Letzteres wird allerdings in der Tendenz der Entscheidungen des OVG Lüneburg, bisher aber ohne sich mit der Gesetzesbegründung zu befassen, wohl trotzdem angenommen. Diese Ansicht kann allerdings nach unserer Auffassung nicht überzeugen, da entsprechende Anhaltspunkte eines solchen Gesetzesverständnisses schlicht nicht bestehen.

Zu guter Letzt ist einer vom OVG Lüneburg angenommenen Rechtsfolge der während des laufenden Drittrechtsschutzes vorgenommenen unwesentlichen Änderung der Anlage auf Grundlage von § 15 BImSchG allerdings entschieden entgegen zu treten: dem angeblichen „Rechtswidrigwerden“ der erteilten Genehmigung alleine aus dem Umstand, dass eine unwesentliche Änderung der Anlage von der Genehmigungsbedürftigkeit auf Grundlage des § 15 BImSchG freigestellt wird. Denn die immissionsschutzrechtliche Genehmigung bleibt im Fall der Freistellungserklärung gerade unverändert (BVerwG, 7C 7/11), die Freistellungserklärung erschöpft sich ausschließlich in der Feststellung, dass die Anlagenänderung keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf (vgl. OVG Magdeburg, 2 L 40/12). Sogar wenn also die Änderungsanzeige „rechtlich unzulässig“ wäre, kann dieser Umstand keinen Einfluss auf die Genehmigung haben.

Und nun?

Unter dem Strich bleibt also festzuhalten, dass das OVG Lüneburg mit der ergangenen Entscheidung für extreme Unsicherheit gesorgt hat. Dies, so muss konstatiert werden, sogar ohne Not, da nach den Ansichten des OVG Lüneburg selbst im Falle der Änderung des genehmigten Vorhabens auch weitere Entscheidungen ergehen müssen, der Drittrechtsschutzsuchende demnach auch in keinem Fall besser gestellt ist, als über die bisherige Praxis. Gegebenenfalls, so muss festgestellt werden, ist der Drittrechtsschutzsuchende sogar schlechter gestellt, da aufgrund eines rückwirkenden Eingreifens in den vorhandenen Genehmigungstatbestand durch eine wie auch immer geartete Ergänzungsentscheidung oder Neuentscheidung der Rechtschutz gegenüber dem Vorgehen nach §§ 15, 16 BImSchG sogar verkürzt werden kann. Denn jedenfalls bei der Neuentscheidung müsste der Drittrechtsschutzsuchende ein Anfechtungsverfahren vollständig von vorn beginnen.

Große Unsicherheit gibt es jedoch vor allem in der Praxis. In allen Fällen, in denen bei laufenden Drittschutzverfahren Änderungen des ursprünglich genehmigten Vorhabens erfolgen, stellt sich nunmehr die Frage für den Vorhabenträger, ob dieser eine Anzeige gemäß § 15 BImSchG stellt oder ein Ergänzungsverfahren bzw. einen geänderten Genehmigungsantrag an die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde richtet. Gleichzeitig muss die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde beispielsweise in Fällen des § 15 BImSchG davon überzeugt sein, dass die Vorschrift des § 15 BImSchG gerade keine Anwendung findet und ein gesondertes Verfahren zu wählen ist. Aktuelle Gespräche in diesem Zusammenhang mit Genehmigungsbehörden zeigen, dass diese Unsicherheiten nicht einfach zu beseitigen sind. Von dem Weg einer – aus unserer Sicht verwaltungsverfahrensrechtlich nicht möglichen – rückwirkenden Antragsänderung bei Drittanfechtung können wir aus obig dargestellten Gründen nur abraten. Für Projekte in Niedersachsen stellt sich aus unserer Sicht derzeit am sinnvollsten der Weg über § 16 (Absatz 4) BImSchG dar. Für bereits erfolgte Änderungen im Anzeigeverfahren und laufendem Drittschutz sollte das Gespräch mit der Behörde gesucht werden und in Erwägung gezogen werden, ein fakultatives Änderungsgenehmigungsverfahren nachzuholen. Mehr als das Gefühl der Rechtssicherheit dürfte das Vorgehen mit Blick auf die Entscheidung des OVG Lüneburg wohl aber auch nicht bieten.

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