Derzeit ist ein die Windenergie betreffendes Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG Schleswig) in aller Munde, (OLG Schleswig, Urteil vom 26. März 2019 – 7 U 140/18), sogar die Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete (LINK). Das Gericht hob in der Berufungsinstanz ein vorinstanzliches Urteil des Landgerichts Itzehoe (LG Itzehoe) auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück.
So weit, so unspektakulär? Nicht ganz. In der Sache ging es hierbei nämlich um von den Klägern behauptete Gesundheitsgefährdungen aufgrund von Infraschall oder elektromagnetischer Strahlung, die nach der Ansicht der Kläger auf den Betrieb von Windenergieanlagen der Beklagten zurückzuführen seien. Während diese Thematik als taugliches „Angriffsmittel“ in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als überwunden gelten kann, geht es nunmehr um den zivilgerichtlichen Umgang mit diesem Themenfeld.
Hat das OLG Schleswig damit die potenzielle Gesundheitsbeeinträchtigungen durch den Betrieb von Windenergieanlagen bestätigt? Nein. Die Schleswiger Richter trafen hierzu inhaltlich überhaupt keine Entscheidung, sondern hoben das Urteil des Landgerichts wegen prozessualer Fehler in der Beweiswürdigung auf. Darüber hinaus befindet sich das Urteil im Einklang mit der zur Frage der potenziellen Gesundheitsbeeinträchtigung bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. „Bahnbrechend“ Neues(wie es mitunter betitelt wird) ist dem Urteil daher nicht zu entnehmen.
Worum es ging
Geklagt hatten Anwohner auf Unterlassung der Beeinträchtigung durch insgesamt sieben Windenergieanlagen in einer Entfernung von 873 bis 1800 Meter Entfernung von ihrem Wohnhaus. Die Kläger sind bereits seit dem Jahr 2000 Eigentümer des Hauses im Außenbereich, zum Zeitpunkt ihres Einzugs war bereits ein Windpark mit 10 Windenergieanlagen südlich des Hauses vorhanden, ein weiterer Windpark bestehend aus drei Windenergieanlagen ist 2015 nördlich des Hauses in Betrieb genommen worden. Gegenstand der nunmehr vom OLG Schleswig entschiedenen Klage ist aber nur eine in 1.800 Metern zum Wohnhaus der Kläger im Jahr 2011 in Betrieb genommene Windenergieanlage.
Die Kläger behaupten, die Windenergieanlage hätte gesundheitsschädigende Wirkungen. Sie machen geltend, seit der Errichtung der beklagten Windenergieanlage unter anderem unter Reizbarkeit, Durchfall, Schlafstörungen, Schwindel, Übelkeit und Benommenheit zu leiden.
Die Entscheidung der Vorinstanz
Gestützt hatten die Kläger ihre Klage auf den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch nach § 1004, 906 BGB. Danach kann ein Grundstückseigentümer Beeinträchtigungen durch Immissionen nicht abwehren, wenn diese Immissionen nur „unwesentlich“ sind. Immissionen sind gemäß § 906 Absatz 1 Satz 2 in der Regel dann unwesentlich, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte nicht überschritten werden.
Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen solchen Unterlassungsanspruch hatte das LG Itzehoe in seinem Urteil vom 24. September 2018 allerdings verneint. Es hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, die von den Klägern geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Infraschall, Discoeffekt und Schatten- sowie Eiswurf seien als unerheblich einzustufen. Dies ergebe sich bereits aus der Entfernung des Wohnhauses zu der maßgeblichen Windenergieanlage von etwa 1.800 Metern, weswegen eine für den Anspruch notwendige erhebliche Beeinträchtigung bereits nicht vorliegen könne. Auf eine Beweiserhebung hatte das Landgericht Itzehoe daher seinerzeit verzichtet.
Das Urteil des OLG Schleswig
Die fehlende Beweiserhebung und eine falsche Verteilung der Beweislast waren nunmehr die Gründe, warum das OLG Schleswig das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen hat. Insbesondere wiesen die Schleswiger Richter darauf hin, dass grundsätzlich der Störer (hier die Betreiber der Windenergieanlage) darlegen und beweisen müsse, dass eine Beeinträchtigung nur unwesentlich sei. Außerdem fehle es dem Urteil an einer abschließenden Gesamtwürdigung hinsichtlich des festgestellten Maßes und der Dauer der Beeinträchtigungen durch die Windenergieanlagen, so das Gericht.
Zu den inhaltlich streitentscheidenden Fragen, ob die von den Klägern behaupteten Gesundheitsbeeinträchtigungen tatsächlich vorliegen, ob diese kausal durch die beklagten Windenergieanlagen (mit-) verursacht worden sind und wenn ja, ob etwaige Beeinträchtigungen wesentlich oder unwesentlich sind, hat das OLG Schleswig keine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung in der Sache erschien dem Senat mit eigenen Worten „nicht sachdienlich“, da es hierzu voraussichtlich der Wiederholung und Ergänzung einer durchaus aufwendigen Beweisaufnahme bedurft hätte. Wie das LG Itzehoe in der erneuten Verhandlung der Sache entscheiden wird, ist damit noch nicht absehbar. Dies wird maßgeblich von der nunmehr nachzuholenden Beweisaufnahme abhängen.
Was folgt daraus?
Das OLG Schleswig-Holstein hat durch die Entscheidung des LG Itzehoe verfahrensrechtliche Grundsätze verletzt gesehen. Zur Frage der Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Maßstäbe, anhand derer beurteilt werden kann, ob zivilrechtliche Abwehransprüche gegen den Betrieb von Windenergieanlagen bestehen, hat sich das Gericht nur am Rande geäußert.
Für die Genehmigungsverfahren bleibt alles beim Alten. Diese richten sich nach wie vor nach den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Regelungen des BImSchG und den darin enthaltenen Betreiberpflichten. Das Urteil des OLG Schleswig bewertete den Sachverhalt demgegenüber allein aus zivilrechtlicher Sicht. Somit bedeutet das Urteil auch für die Genehmigung von Windenergieanlagen keine Neuerungen.
TA-Lärm nicht mehr maßgeblich? Beweislast trägt der Kläger
Die für die Anlagenbetreiber und Projektier drängenden Fragen wird damit erneut das LG Itzehoe zu entscheiden haben. Insbesondere wird dabei von Interesse sein, wie die beklagten Betreiber vorliegend den Beweis erbringen können, dass die Einwirkung der Windenergieanlage die Benutzung des klägerischen Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt. Grundsätzlich sind hierfür gemäß § 906 Absatz 1 Satz 3 die Grenz- und Richtwerte der TA-Lärm zu beachten.
Keine Maßgeblichkeit sollen die in der TA-Lärm vorgeschriebenen Richtwerte nur dann haben, wenn sie den „Stand der Technik“ nicht mehr wiedergeben. Der Stand der Technik – einschließlich der Wirkungsforschung – ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher und in der Praxis bewährter Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen, der nach der deutlich überwiegenden Meinung führender Fachleute die Erreichung des gesetzlich vorgeschriebenen Ziels gesichert erscheinen lässt. Ob hier vorliegend, wie vom OLG Schleswig-Holstein wohl angedeutet, die Maßgeblichkeit der TA-Lärm in Frage zu stellen ist, ist jedoch vom Prozessgericht LG Itzehoe – mit sachverständiger Hilfe – zu prüfen, (dagegen jüngst das OLG Koblenz, vgl. hier). Die Beweislast für die Unanwendbarkeit der TA-Lärm trägt in diesem Fall allerdings der Betroffene, hier demnach also die Kläger.
Schließlich bleibt festzuhalten, dass die Feststellung des Vorliegens einer Beeinträchtigung sich auch immer nach den Umständen des Einzelfalles richtet. Dabei ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung maßgeblich das Gepräge der Umwelt des belasteten Grundstücks, die Zeitdauer, Art und Auswirkung der Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Außerdem spiele es eine Rolle, ob sich das belastete Grundstück bei Erwerb durch den Betroffenen bereits in einer umweltbelasteten Umgebung befand. Die durch die Windkraftnutzung geprägte Umgebung und die Tatsache, dass die Mehrzahl der Windenergieanlagen bereits in Betrieb waren, als die Kläger ihr Haus bezogen, sprechen daher vorliegend gegen eine wesentliche Beeinträchtigung.
Zu beachten ist auch, dass selbst wenn ein wesentliche Beeinträchtigung vorliegen sollte, nach § 906 Absatz 2 BGB der Eigentümer eines Grundstücks eine Beeinträchtigung dann nicht verbieten kann, wenn diese durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die wirtschaftlich zumutbar sind. Bei den insgesamt 20 Windenergieanlagen in unmittelbarer Grundstücksnähe dürfte eine "Ortsüblichkeit" der Grundstücksnutzung durch Windenergieanlagen naheliegen. Hierfür streitet auch bereits der Ansatz, dass im Außenbereich der Betrieb von Windenergieanlagen eine privilegierte Nutzungsform darstellt, der sich – im Außenbereich gerade nicht privilegierte - Wohnnutzung in den zumutbaren Grenzen der geltenden Regelwerke für Immissionen unterzuordnen hat. Im Außenbereich liegt also gewissermaßen per se eine Ortsüblichkeit der Nutzung durch privilegierte Vorhaben wie die Windenergienutzung vor.
Fazit
Zwar mag der prozessuale Verlauf des gerichtlichen Verfahrens für den Moment zum „Sieg gegen die Windkraft“ qualifiziert werden. Im Kern handelt es sich aber um die rechtstaatliche Folge der Prüfung der bisherigen Verfahrensführung des erstinstanzlichen durch ein zweitinstanzliches Gerichts. Wenn letzteres relevante Fehler findet, die im Zusammenhang mit fehlender Sachverhaltsaufklärung stehen, wird zurückverwiesen. Dies entspricht der ständigen Praxis.
Zwar mag der prozessuale Verlauf des gerichtlichen Verfahrens für den Moment zum „Sieg gegen die Windkraft“ qualifiziert werden. Im Kern handelt es sich aber um die rechtstaatliche Folge der Prüfung der bisherigen Verfahrensführung des erstinstanzlichen durch ein zweitinstanzliches Gerichts. Wenn letzteres relevante Fehler findet, die im Zusammenhang mit fehlender Sachverhaltsaufklärung stehen, wird zurückverwiesen. Dies entspricht der ständigen Praxis.
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