Auch zum Jahresende bleibt es für die Erneuerbare-Energien-Branche turbulent – und wieder einmal ist ein völlig überraschendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hierfür verantwortlich (BGH, Urteil vom 4. November 2015 – Az. VIII ZR 244/14, das Urteil finden Sie hier).
Ein neuer Anlagenbegriff für PV-Anlagen – Vom PV-Modul zum Solarkraftwerk
Der BGH hat in seinem Urteil nicht weniger getan, als der in der gesamten bisherigen Rechtsprechung, Literatur und Praxis vorherrschenden Auffassung und nicht zuletzt auch dem gesetzgeberischen Verständnis des EEG-Anlagenbegriffs bei PV-Modulen eine Absage zu erteilen. Er setzt sich damit über eine jahrelang geübte und wohlbegründete Auslegungs- und Anwendungspraxis hinweg: Entgegen sämtlicher bisheriger Stimmen entschied der BGH, dass nicht das einzelne PV-Modul eine Anlage im Sinne des EEG ist, sondern erst die Gesamtheit der Module innerhalb einer PV-Installation.
Hierfür findet der BGH auch gleich noch einen neuen Begriff und einige neue Abgrenzungskriterien: Anlage im Sinne des EEG ist nach dem BGH zukünftig nicht mehr das einzelne Modul, sondern die nach einem „Gesamtkonzept“ errichtete „Gesamtheit“ mehrerer PV-Module, das „Solarkraftwerk“ – auch wenn dieser Begriff im EEG selbst nirgendwo auftaucht.
Hier die Leitsätze des Urteils im Wortlaut:
Für den § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 zugrunde liegenden – weiten – Anlagebegriff, unter dem die Gesamtheit aller funktional zusammengehörenden technisch und baulich notwendigen Einrichtungen zu verstehen ist, ist maßgeblich, nach welchem Gesamtkonzept die einzelnen Einrichtungen funktional zusammenwirken und eine Gesamtheit bilden sollen (im Anschluss an das Senatsurteil vom 23. Oktober 2013 – VIII ZR 262/12, NvWZ 2014, 313, Rn. 23, 32 ff., 40).
Nicht das einzelne zum Einbau in ein Solarkraftwerk bestimmte Fotovoltaikmodul ist als eine (eigene) Anlage gemäß § 3 Nr. 1 Satz 1 EEG 2009 anzusehen, sondern erst die Gesamtheit der Module bildet die Anlage „Solarkraftwerk“.
Wie die Konturierung des Anlagenbegriffs nach diesen Aussagen des BGH künftig erfolgen soll und was dies für die Praxis bedeutet, ist ohne eine fundierte Analyse des Urteils noch nicht bis ins Letzte absehbar. Sicher ist aber bereits jetzt, dass das BGH-Urteil die bisherige Rechtspraxis bei PV-Anlagen vollständig auf den Kopf stellt. Doch holen wir erst einmal tief Luft und gehen einen Schritt zurück:
Was ist der Hintergrund für all den Aufruhr?
Kürzlich berichteten wir hier über die zuletzt ergangene Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Nürnberg und Naumburg zur Inbetriebnahme bei PV-Anlagen unter dem EEG 2009. Die Oberlandesgerichte hatten entschieden – obwohl dies nach dem Wortlaut des EEG 2009 noch nicht ausdrücklich verlangt wurde –, dass auch bereits nach der damaligen Rechtslage eine gewisse örtliche Festlegung für die Inbetriebnahme vonnöten war. Das entsprechende Urteil des OLG Nürnberg hatte der BGH bestätigt – so viel war bereits bekannt. Die Gründe hierfür wurden jedoch erst jetzt veröffentlicht – und werden für einen Donnerhall in der PV-Branche sorgen.
Nachdem der BGH im Oktober 2013 in einem zu einer Biogasanlage ergangenen Urteil den weiten Anlagenbegriff zementierte und den Begriff der „Gesamtheit funktional zusammenhängender Anlagenteile“ geprägt hatte (BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013 – Az. VIII ZR 262/12, das Urteil finden Sie hier), stellte sich natürlich die Frage, ob dieses Urteil auch Auswirkungen etwa auf PV-Anlagen haben könnte (vgl. hierzu Hennig/von Bredow/Valentin in: Frenz et al., EEG Kommentar, 4. Aufl. 2015, § 5 Rn. 7 und 19 (digitale Leseprobe)). Es hatte jedoch niemand erwartet, dass der BGH ausgerechnet den zuletzt vor dem OLG Nürnberg verhandelten „Glühlampen-Fall“ zum Anlass nehmen würde, um seine Rechtsprechung zum weiten Anlagenbegriff weiter auszubauen und eine solch weitreichende Umkrempelung des PV-Anlagenbegriffs vorzunehmen. So war hier vielmehr eine Positionierung zum Inbetriebnahmebegriff des EEG 2009 erwartet worden, den der BGH in seinem Urteil aber mehr als stiefmütterlich behandelt. Folgen für die Praxis: Noch ungewiss.
Der Branche stellen sich nunmehr doch eine ganze Reihe von Folgefragen und Auslegungsschwierigkeiten. Das eher knappe Urteil – die maßgebliche Begründung beläuft sich auf nur 7 Seiten – lässt dabei nicht ansatzweise erkennen, dass sich der BGH dieser schwerwiegenden Auswirkungen auf die Praxis bewusst war oder sich hiermit in der angemessenen Tiefe auseinandergesetzt hätte.
Das Urteil ist jedoch in der Welt und als höchstrichterliche Auslegung für die Praxis bindend, oder salopp formuliert: Über dem BGH kommt erst einmal nichts mehr. Daran dürfte auch der zu erwartende Ruf nach dem Bundesverfassungsgericht – jedenfalls kurzfristig – nichts ändern. Die Praxis wird sich intensiv mit dem Urteil befassen müssen. So dürften zahlreiche Netzbetreiber nunmehr in die Prüfung einsteigen, wie sich der neue PV-Anlagenbegriff auf die finanzielle Förderung, die Inbetriebnahmezeitpunkte oder die technischen Voraussetzungen für PV-Anlagen auswirkt. Zugleich könnten sich für die PV-Branche aufgrund des Urteils auch neue Möglichkeiten eröffnen. So wirft das BGH-Urteil die spannende Frage auf, ob PV-Anlagen bzw. – um mit dem BGH zu sprechen – „Solarkraftwerke“ künftig unter Beibehaltung ihres ursprünglichen Inbetriebnahmedatums erweitert werden können. Dies würde der PV-Branche ungeahnte Möglichkeiten bieten, zumal sich das Urteil auf das EEG 2009 bezieht – also gerade die Jahre der noch sehr hohen Vergütungssätze.
Die rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Urteils sind aber ohne umfassende Analyse des BGH-Urteils und seiner Begründung noch kaum absehbar. Eine erste vertiefte Auseinandersetzung mit der Argumentation des BGH sowie eine Darstellung verschiedener Folgefragen von vBVH wurde zwischenzeitlich in der Fachzeitschrift „Recht der Erneuerbaren Energien“ veröffentlicht (REE 2015, Heft 04, S. 213 ff., Anmerkung von Dr. Hartwig von Bredow ab S. 216 ff.). Die Urteilsanmerkung haben wir hier für Sie hinterlegt. Bitte sehen Sie bei Interesse hierzu auch unsere Folgemeldung vom 7. Januar 2016.