Betreibern von Biogasanlagen droht der Verlust des sogenannten Luftreinhaltungsbonus, der auch als Formaldehydbonus, Emissionsminderungsbonus oder Emissionsminimierungsbonus bezeichnet wird. Betroffen sind Anlagen nach EEG 2009, die ursprünglich baurechtlich genehmigt worden sind und dann aufgrund einer nachträglichen Anlagenerweiterung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurften. Betreiber älterer Anlagen, die bereits vor 2009 in Betrieb genommen worden sind, sind hingegen nicht betroffen.
Der Anspruch auf den Luftreinhaltungsbonus besteht für Anlagen, die unter das EEG 2009 fallen, nur, wenn die Anlage einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf. Auf welchen Zeitpunkt und auf welche Rechtslage es dabei ankommt, ist seit Jahren umstritten. Nachdem der BGH bereits 2015 entscheiden hatte, dass es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme der jeweiligen Anlage ankommt, dreht sich der Streit nun noch um die Frage, wie das BGH-Urteil im Fall einer nachträglichen Anlagenerweiterung zu verstehen ist. Umstritten ist, ob das Urteil auch für solche Anlagen gilt, die zwar ursprünglich baurechtlich genehmigt worden sind, dann aber baulich geändert worden sind und nun nicht nur nach aktueller, sondern auch nach der zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Inbetriebnahme geltenden (und nach Ansicht des BGH maßgeblichen) Rechtslage einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfen.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hat am 17. Mai 2018 (Az.: 2 U 129/17) geurteilt, dass Biogasanlagenbetreiber, deren Anlagen durch einen Motortausch nach der erstmaligen Inbetriebnahme immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig wurden, keinen Anspruch auf den Luftreinhaltungsbonus haben.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Da das OLG die Revision nicht zugelassen hat, läuft eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde. Gleichwohl hat u.a. die EWE Netz GmbH das Urteil zum Anlass genommen, in vergleichbaren Fällen die Zahlung des Luftreinhaltungsbonus einzustellen und den in der Vergangenheit gezahlten Bonus zurückzufordern. Es ist zu befürchten, dass auch weitere Netzbetreiber in Kürze unter Berufung auf dieses Urteil den Luftreinhaltungsbonus für die letzten zwei/drei Jahre zurückfordern und künftig nicht mehr auszahlen werden. Voraussichtlich werden die Netzbetreiber bei Weigerung der Rückzahlung die Forderung gegen den Anspruch der Anlagenbetreiber auf die laufende Vergütung aufrechnen.
Zur Einordnung …
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 6. Mai 2015 (Az.: VIII ZR 255/14), dass Betreiber von Biogasanlagen, die ursprünglich baurechtlich genehmigt worden sind und deren immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit ausschließlich aus der zum 1. Juni 2012 erfolgten Änderung der 4. BImSchV (1,2 Mio. Nm3 Rohgasproduktion pro Jahr) folgt, keinen Anspruch auf Zahlung des Luftreinhaltungsbonus nach dem EEG 2009 haben. Der BGH begründete dies im Kern damit, dass es für die Frage, ob es sich um eine immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage handelt, allein auf die genehmigungsrechtliche Situation zum Zeitpunkt der ursprünglichen Inbetriebnahme der Anlage ankomme.
Die Entscheidungsgründe sprechen dabei eindeutig dafür, dass der BGH zwar die zum Zeitpunkt der ursprünglichen Inbetriebnahme geltende Gesetzeslage für maßgeblich erachtet, nicht jedoch zum Ausdruck bringen wollte, dass eine ursprünglich baurechtlich genehmigte Anlage, die später erweitert worden ist und deshalb einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf, von dem Anspruch ausgeschlossen sein soll. Schließlich handelt es sich nach der erfolgten Anlagenerweiterung um eine Anlage, die – wäre sie von Anfang an so errichtet worden wäre – zweifelsfrei vom Luftreinhaltungsbonus profitiert hätte.
Von diesem Verständnis der BGH-Rechtsprechung ließen sich auch die meisten Netzbetreiber überzeugen, so dass der Bonus in den meisten Fällen einer nachträglichen Anlagenerweiterung zunächst weiter ausgezahlt worden ist.
Aufgrund des sehr weit gefassten Leitsatzes waren einzelne Netzbetreiber, darunter die Netze BW GmbH jedoch der Auffassung, dass der BGH den Luftreinhaltungsbonus ausschließlich dann zusprechen wollte, wenn die Anlage bereits zum Zeitpunkt ihrer Inbetriebnahme einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurfte. Mit anderen Worten: Was ursprünglich mal eine kleine baurechtlich genehmigte Anlage war, kann im Sinne des EEG nicht zu einer immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage werden – auch wenn aus der kleinen Anlage später eine viel größere Anlage wurde, die bereits aufgrund ihrer Feuerungswärmeleistung zwingend einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedarf.
Landgericht Stuttgart
Mit dieser bis dahin noch nicht behandelten Rechtsfrage der späteren Anlagenerweiterung hatte sich erstmals das Landgericht (LG) Stuttgart zu beschäftigen.
Zum Sachverhalt
Die streitgegenständliche Biogasanlage war zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme im Jahr 2010 nach dem Baurecht genehmigt. Im Jahr 2013 hat der Anlagenbetreiber das Blockheizkraftwerk (BHKW) gegen ein leistungsstärkeres getauscht und einen dritten Behälter (Nachgärer) errichtet. Die Feuerungswärmeleistung betrug damit mehr als 1 MW. Die Anlage wurde also erst nach der erstmaligen Inbetriebnahme immissionsschutzbedürftig nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, wobei die Genehmigungsbedürftigkeit der erweiterten Anlage auch nach der im Jahr 2010 geltenden Rechtslage bestand.
Der Netzbetreiber verweigerte den Anspruch auf den Luftreinhaltungsbonus mit dem Argument, dass die Anlage bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Inbetriebnahme genehmigungsbedürftig nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz hätte sein müssen. Der Anlagenbetreiber sah dies anders und legte Klage ein.
Zur Entscheidung
Das LG Stuttgart gab dem Anlagenbetreiber Recht (Urteil vom 6. April 2017, Az.: 16 O 313/16) und bestätigte den Großteil der Stimmen in Literatur und Praxis, wonach Erweiterungen der Biogasanlage, die auch nach der zum Inbetriebnahmezeitpunkt geltenden Rechtslage einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurft hätten, dazu führen, dass der Anspruch auf den Luftreinhaltungsbonus entsteht, sofern auch die weiteren Voraussetzungen vorliegen.
Doch dann … Oberlandesgericht Stuttgart
Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart vollzog im Berufungsverfahren zu oben genanntem Verfahren vor dem LG Stuttgart eine Kehrtwende und urteilte, dass Biogasanlagenbetreiber keinen Anspruch auf den Luftreinhaltungsbonus nach § 27 Absatz 5 Satz 1 EEG 2009 haben, wenn die Anlagen zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme nicht immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig waren. Der nachträgliche Eintritt der Genehmigungsbedürftigkeit führe nicht zum Anspruch auf Zahlung des sogenannten Luftreinhaltungsbonus.
Das OLG bezieht sich im Urteil immer wieder auf das oben zitierte BGH Urteil und möchte daraus entnehmen, dass der Wortlaut des § 27 Absatz 5 Satz 1 EEG 2009 hinsichtlich der Genehmigungsbedürftigkeit auf den Inbetriebnahmezeitpunkt und nicht auf den Zeitpunkt der jeweiligen Stromerzeugung Bezug nimmt. Die Zahlung auf den Luftreinhaltungsbonus stehe in engem sachlichen Zusammenhang mit der Grundvergütung, deren Beginn, Dauer und Höhe sich nach § 20 f. EEG 2009 richte. Eine nach der Inbetriebnahme geänderte Sachlage sei daher genauso zu beurteilen wie die spätere Änderung der Rechtslage.
Bewertung
Das Urteil des OLG überzeugt nicht. Das OLG setzt sich mit den Entscheidungsgründen des BGH nicht hinreichend auseinander. In den Entscheidungsgründen hatte der BGH eindeutig klargestellt, dass lediglich eine nachträgliche Änderung des Genehmigungsrechts – etwa die im Juli 2012 eingeführte Schwelle von 1,2 Mio. Normkubikmeter Rohbiogas – außer Acht bleiben muss. Dies diene letztlich auch dem Vertrauensschutz der Anlagenbetreiber, die andernfalls Gefahr liefen, ihren Bonusanspruch allein aufgrund einer außerhalb des EEG erfolgenden Rechtsänderung nachträglich zu verlieren (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 2015, Az.: VIII ZR 255/14, Rn. 35). Ändert sich hingegen das Verhalten des Anlagenbetreibers (z.B. andere Einsatzstoffe) oder die Anlage selbst (zum Beispiel andere Technik oder Anlagenerweiterung), so hat dies – selbstverständlich (!) – auch Auswirkungen auf die Vergütungstatbestände (vgl. BGH, BGH, Urteil vom 6. Mai 2015, Az.: VIII ZR 255/14, Rn. 33). Das OLG Stuttgart hat die diesbezüglichen Ausführungen des BGH ganz offensichtlich nicht verstanden.
Was tun?
Betreiber ursprünglich baurechtlich und nachträglich immissionsschutzrechtlich genehmigter EEG 2009-Anlagen, die den Luftreinhaltungsbonus bislang erhalten haben, sollten sich jetzt gut vorbereiten, um auf etwaige Rückforderungen des Netzbetreibers bestmöglich reagieren zu können. Je nach Einzelfall, bestehen insoweit verschiedene Handlungsoptionen und Argumentationsansätze, um eine außergerichtliche Lösung zu erzielen. Dies gilt insbesondere, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Anlage (oder das Satelliten-BHKW) „eigentlich“ bereits bei ihrer Inbetriebnahme einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedurft hätte oder wenn es nach ursprünglicher Inbetriebnahme zu einem Zubau eines weiteren BHKW gekommen ist. Gerne bieten wir an, Sie hierbei mit unserer umfassenden Erfahrung und rechtlicher Expertise (vgl. etwa von Bredow, Der Luftreinhaltungsbonus, in: Loibl/Maslaton/von Bredow/Walter (Hg.), Biogasanlagen im EEG 2009, 4. Aufl. 2016, S. 709-735) zu unterstützen.
Wenn sich der Netzbetreiber außergerichtlich nicht überzeugen lässt, sollte auch eine gerichtliche Klärung in Erwägung gezogen werden. Andere Gerichte sind an das Urteil des OLG Stuttgart nicht gebunden. Zudem erscheint das Urteil des OLG Stuttgart unter keinem Gesichtspunkt überzeugend, so dass – bei sorgfältiger rechtlicher Begründung – gute Aussichten bestehen, den Anspruch vor einem anderen Gericht durchzusetzen. Wir bereiten derzeit mehrere Klagen vor. Sofern Sie Interesse daran haben, selbst ein gerichtliches Klageverfahren zu führen oder Ihre Berufskollegen in den jeweiligen Verfahren zu unterstützen, kontaktieren Sie uns gerne.